Diese Prolegomena sind nicht zum Gebrauch vor Lehrlinge, sondern vor künftige Lehrer, und sollen auch diesen nicht etwa dienen, um den Vortrag einer schon vorhandnen Wissenschaft anzuordnen, sondern um diese Wissenschaft selbst allererst zu erfinden. Es gibt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten sowohl als neuen) selbst ihre Philosophie ist, vor diese sind gegenwärtige Prolegomena nicht geschrieben. Sie müssen warten, bis diejenigen, die aus den Quellen der Vernunft selbst zu schopfen bemühet sind, ihre Sache werden ausgemacht haben, und alsdenn wird an ihnen die Reihe sein, von dem Geschehenen der Welt Nachricht zu geben. Widrigenfalls kann nichts gesagt werden, was ihrer Meinung nach nicht schon sonst gesagt worden ist, und in der Tat mag dieses auch als eine untrügliche Vorhersagung vor alles Künftige gelten; denn, da der menschliche Verstand über unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherlei Weise geschwärmt hat, so kann es nicht leicht fehlen, daß nicht zu jedem Neuen etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte. Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es wert finden, sich mit Metaphysik zu beschäftigen, zu überzeugen: daß es unumgänglich notwendig sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher Geschehene als ungeschehen anzusehen, und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen: ob auch so etwas, als Metaphysik, überall nur moglich sei.
Daß meine Danksagung, für das den 12. Dez. 1796 an mich bestellte Geschenk, Ihres lehrreichen und angenehmen Buchs »von der Kunst das menschliche Leben zu verlängern« selbst auf ein langes Leben berechnet gewesen sein dürfte, mochten Sie vielleicht aus dem Datum dieser meiner Antwort vom Januar dieses Jahres zu schließen Ursache haben; wenn das Altgewordensein nicht schon die oftere Vertagung (procrastinatio) wichtiger Beschlüsse bei sich führete, dergleichen doch wohl der des Todes ist, welcher sich immer zu früh für uns anmeldet, und den man warten zu lassen an Ausreden unerschopflich ist.
Sie verlangen von mir »ein Urteil über Ihr Bestreben das Physische im Menschen moralisch zu behandeln; den ganzen, auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen darzustellen, und die moralische Kultur als unentbehrlich zur physischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen Menschennatur zu zeigen«, und setzen hinzu: »wenigstens kann ich versichern, daß es keine vorgefaßte Meinungen waren, sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst unwiderstehlich in diese Behandlungsart hineingezogen wurde«. - Eine solche Ansicht der Sache verrät den Philosophen, nicht den bloßen Vernunftkünstler; einen Mann, der nicht allein, gleich einem der Direktoren des franzosischen Konvents, die von der Vernunft verordneten Mittel der Ausführung (technisch), wie sie die Erfahrung darbietet, zu seiner Heilkunde mit Geschicklichkeit, sondern, als gesetzgebendes Glied im Korps der Ärzte, aus der reinen Vernunft hernimmt, welche zu dem, was hilft, mit Geschicklichkeit, auch das, was zugleich an sich Pflicht ist, mit Weisheit zu verordnen weiß: so, daß moralisch-praktische Philosophie zugleich eine Universalmedizin abgibt, die zwar nicht allen für alles hilft, aber doch in keinem Rezepte mangeln kann.
Weil ein Mensch sich nur in so fern glücklich findet, als er eine Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihn fähig macht große Vergnügen zu genießen, ohne dazu ausnehmende Talente zu bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit. Wohlbeleibte Personen, deren geistreichster Autor ihr Koch ist und deren Werke von seinem Geschmack sich in ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten und einem plumpen Scherz in eben so lebhafte Freude gerathen, als diejenige ist, worauf Personen von edeler Empfindung so stolz thun. Ein bequemer Mann, der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei einschlafen läßt, der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch scheinen, dasjenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt, wenn er seinen Handlungsvortheil überschlägt, derjenige, der das andre Geschlecht nur in so fern liebt, als er es zu den genießbaren Sachen zählt, der Liebhaber der Jagd, er mag nun Fliegen jagen wie Domitian oder wilde Thiere wie A.., alle diese haben ein Gefühl, welches sie fähig macht Vergnügen nach ihrer Art zu genießen, ohne daß sie andere beneiden dürfen oder auch von andern sich einen Begriff machen konnen; allein ich wende für jetzt darauf keine Aufmerksamkeit. Es giebt noch ein Gefühl von feinerer Art, welches entweder darum so genannt wird, weil man es länger ohne Sättigung und Erschopfung genießen kann, oder weil es so zu sagen eine Reizbarkeit der Seele voraussetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungen geschickt macht, oder weil es Talente und Verstandesvorzüge anzeigt, da im Gegentheil jene bei volliger Gedankenlosigkeit statt finden konnen. Dieses Gefühl ist es, wovon ich eine Seite betrachten will. Doch schließe ich hievon die Neigung aus, welche auf hohe Verstandes-Einsichten geheftet ist, und den Reiz, dessen ein Keplerfähig war, wenn er, wie Bayleberichtet, eine seiner Erfindungen nicht um ein Fürstenthum würde verkauft haben. Diese Empfindung ist gar zu fein, als daß sie in gegenwärtigen Entwurf gehoren sollte, welcher nur das sinnliche Gefühl berühren wird, dessen auch gemeinere Seelen fähig sind.
Wir mogen unsere Begriffe noch so hoch anlegen und dabei noch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahieren, so hängen ihnen doch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentliche Bestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitet sind, zumErfahrungsgebrauche tauglich zu machen. Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen Sinn und Bedeutung verschaffen, wenn ihnen nicht irgendeine Anschauung, (welche zuletzt immer ein Beispiel aus irgendeiner moglichen Erfahrung sein muß), untergelegt würde? Wenn wir hernach von dieser konkreten Verstandeshandlung die Beimischung des Bildes, zuerst der zufälligen Wahrnehmung durch Sinne, dann sogar die reine sinnliche Anschauung überhaupt weglassen: so bleibt jener reine Verstandesbegriff übrig, dessen Umfang nun erweitert ist und eine Regel des Denkens überhaupt enthält. Auf solche Weise ist selbst die allgemeine Logik zustande gekommen; und manche heuristische Methode zu denken liegt in dem Erfahrungsgebrauche unseres Verstandes und der Vernunft vielleicht noch verborgen, welche, wenn wir sie behutsam aus jener Erfahrung herauszuziehen verständen, die Philosophie wohl mit mancher nützlichen Maxime, selbst im abstrakten Denken, bereichern konnte.